Bild nicht mehr verfügbar.

Ulrike Lunacek hat diese Form der Intervention vor einem Berichtsbeschluss noch nie erlebt - auch nicht vor einem legislativen:  "Das war echt absurd."

Foto: REUTERS/LISI NIESNER

Ihre Arbeit erntete Buhrufe und Johlen: Am 11. Dezember legte Edite Estrela ihren Bericht zum Thema "Rechte auf dem Gebiet der sexuellen und reproduktiven Gesundheit" zur Abstimmung im EU-Parlament vor. Mit ganz knapper Mehrheit wurde der Bericht, der unter anderem einen sicheren Zugang zu Abtreibung in allen EU-Ländern forderte, mit einem Gegenantrag der Europäischen Volksparteien (EVP) abgeschmettert (dieStandard.at berichtete). Für die Grüne EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek hat damit die rechte Agitation gegen mühsam erkämpfte Frauenrechte einen neuen Höhepunkt erreicht. Im Gespräch mit dieStandard.at erläutert sie die Hintergründe, die zur Ablehnung führten und welche Kämpfe als nächstes auf EU-Ebene anstehen.

dieStandard.at: Sie haben die Ablehnung des Estrela-Berichts letzte Woche als "Schlag ins Gesicht für Frauenrechte" bezeichnet. Warum?

Ulrike Lunacek: Teenage-Schwangerschaften nehmen zu, Sparpakete schränken Zugang zu Gesundheitsdiensten ein – und in Irland oder auch Malta ist Abtreibung noch völlig verboten.

Der Bericht, der ja kein legislativer war, hatte das Ziel, die vor fast 20 Jahren bei der Kairoer UN-Bevölkerungskonferenz beschlossenen sexuellen und reproduktiven Rechte für alle Mitgliedsstaaten gleich umzusetzen. Ganz grundsätzlich sollte daran erinnert werden, dass Frauen aber auch Männer ihre Sexualität frei von Gewalt und Diskriminierung in allen Mitgliedsländern leben können.

Damit verknüpft sind Themen wie Abtreibung, Gesundheit, Bildung und Aufklärung –Bereiche, über die ganz klar die Mitgliedsstaaten entscheiden. Der Bericht wollte den Mitgliedsstaaten Empfehlungen geben, aber keine Vorschriften machen. Dass sich das EU-Parlament nicht einmal dazu entschließen konnte, deute ich als Rückschlag für Frauenrechte.

dieStandard.at: Sie sagten auch, es wurde im Vorfeld "mit ideologisch motivierten Falschinformationen" gespielt. Welche Informationen wurden hier verbreitet?

Ulrike Lunacek: Das war echt absurd. In einem der Mails, mit dem die Abgeordneten bombardiert wurden, stand etwa, dass der Bericht die massive Förderung von Abtreibung als Mittel zur Geburtenkontrolle beinhalte. Dass zwingende Sexerziehung lange vor dem Alter von vier Jahren sowie die Anleitung zur Masturbation im frühen Kindesalter darin verankert werde. Die Organisation trug den Namen "Österreichische Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum"

Frau Estrela (die Berichterstatterin im EU-Parlament, Anm.) hat selbst vor der ersten Abstimmung im Oktober 80.000 Protestmails von Mitgliedern konservativer Familienorganisationen, Pro-Life-AktivistInnen und christlich-fundamentalistischen Organisationen aus ganz Europa bekommen, die zum Teil auf persönlicher Ebene beleidigend waren.

Auch bei der Abstimmung im Plenum herrschte eine Stimmung, die etwas Bedrohliches hatte. Die ParlamentarierInnen johlten und buhten, während Estrela sprach und als klar wurde, dass der Gegenbericht angenommen wurde, klopften sie lautest auf die Tische. Unfassbar, dass die Agitation gegen den Bericht diese Dimension annehmen konnte.

dieStandard.at: Wie erklären Sie sich diese Mobilisierungskraft eines Berichts, der ja nur Empfehlungen aussprechen kann?

Ulrike Lunacek: Wir erleben seit den letzten paar Jahren ein Erstarken der christlichen FundamentalistInnen, aber auch der rechten, nationalistischen Parteien. Wie stark sie sind und wie gut sie auch untereinander vernetzt sind, hat sich im Vorfeld der Abstimmung und auch durch die Ablehnung gezeigt.

dieStandard.at: Die GegnerInnen des Berichts meinten, in dem Text sei von einem Recht auf Abtreibung die Rede. Sie sagen, der Bericht forderte lediglich den Zugang aller Frauen zu sicherer Abtreibung. Wo liegt denn da genau der Unterschied?

Ulrike Lunacek: Ich war selber 1994 in Kairo dabei. Damals konnten wir uns auf UNO-Ebene auf die Formulierung einigen, dass in Ländern, wo Abtreibung legal ist, ein Zugang zu sicheren Abbrüchen gewährleistet sein muss. Es stimmt, in diesem EP-Bericht wird neben vielen anderen Dingen, wie etwa dem Zugang zu Empfängnisverhütung, der Zugang aller Frauen zu sicherer Abtreibung empfohlen. Aber die EU ist ja weit davon entfernt, den Mitgliedsländern in diesem Bereich Vorschriften machen zu können.

Das Thema sexuelle Gesundheit umfasst ja noch viele andere Themen. Aktuell haben wir etwa in Europa wieder eine Zunahme von Teenagerschwangerschaften. Das ist sowohl gesundheitlich auch gesellschaftlich ein großes Problem, das auch den FundamentalistInnen nicht egal sein sollte.

dieStandard.at: Im Oktober wurde der Bericht bereits einmal in den Frauenausschuss zurückgeschickt. Welche Passagen wurden geändert und warum?

Ulrike Lunacek: Estrela hat vorgeschlagen, einzelne Punkte, die in den Mails ganz massiv kritisiert wurden, aus dem Bericht zu nehmen, so wurde etwa die Formulierung "tabufreie und interaktive Sexualitätsaufklärung" entfernt nicht aber die Forderung nach einer modernen Sexualaufklärung. Entfernt wurde auch die Forderung auf Zugang zu Fruchtbarkeitsbehandlungen für nicht verheiratete und lesbische Frauen, was ich persönlich sehr schade finde. Der dritte Teil betraf einzelne Punkte zum Thema Leihmutterschaft.

dieStandard.at: Auch auf anderer EU-Ebene tut sich etwas in diesen Fragen. Die EU-Bürgerinitiative "One of us" hat bisher 1,8 Millionen Unterschriften gesammelt und muss nun von der EU-Kommission behandelt werden. Was glauben Sie, wie die EU-Kommission reagieren wird?

Ulrike Lunacek: Zunächst möchte ich sagen, wie verärgert ich war, dass die EU-Kommission dieses Begehren überhaupt zugelassen hat. Denn im Petitionstext geht es zwar um Embryonenforschung in der EU, doch auch der Schutz des Embryos von der Zeugung an wird darin festgeschrieben. Damit ist die Bekämpfung der Fristenlösung das eigentliche Ansinnen der Petition. Nicht umsonst fordert die Initiative auch Änderungen bei der Entwicklungszusammenarbeit der EU. Damit wären all jene Einrichtungen und NGOs betroffen, die sich in den entsprechenden Ländern für reproduktive Rechte einsetzen. Die USA haben unter Präsident Bush ja schon einmal diesen Weg beschritten.

Die Kommission wird sich erstmals im Februar zu der Sache äußern. Fest steht, dass das Scheitern des Estrela-Berichts der Initiative noch zusätzlich Aufwind verschafft hat. Die Diskussion geht in eine Richtung, in der über Jahre erkämpfte Frauenrechte wieder eingeschränkt werden sollen.

Und gerade weil für die kommenden EU-Wahlen mit einem Erstarken der rechten und nationalistischen Parteien zu rechnen ist, kann auch für die neue Legislaturperiode keine Entwarnung gegeben werden. (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 19.12.2013)