Eine junge Frau trinkt eine Tasse Kaffee während sie aus dem Fenster schaut. 
Claudia Rahnfeld: "Es wäre zu kurz gegriffen, wenn man die kinderlose Frau nur als eine Karrieresuchende beschreibt, das wird ihr nicht gerecht."
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Menschen, die sich gegen ein Leben mit Kindern entschieden haben, wird oft Egoismus unterstellt, sie werden im Job als immer verfügbar angesehen, und im privaten Umfeld werden ihnen ungebeten die Vorteile eines Lebens mit Kindern dargelegt. Eine Studie hat nun die Motive von Frauen erhoben, die sich bewusst gegen Kinder entschieden haben. Die Autorinnen der Studie, Claudia Rahnfeld und Annkatrin Heuschkel, konnten zeigen, dass es nicht in erster Linie die Rahmenbedingungen sind, weswegen sich Frauen für ein Leben ohne Kinder entscheiden, sondern vorwiegend individuelle Motive.

STANDARD: Ihre Studie untersuchte "gewollte Kinderlosigkeit". Aber wann kann man wirklich von "gewollt" sprechen? Nur wenn absolut keine Rahmenbedingungen die Entscheidung beeinflusst haben?

Heuschkel: Im Allgemeinen wird zwischen ungewollter und gewollter Kinderlosigkeit unterschieden. Nicht immer lässt sich dabei eine klare Trennlinie zwischen den Formen ziehen. Politisch lag der Fokus in der Vergangenheit sehr stark auf ungewollter Kinderlosigkeit.

Eine wesentliche Voraussetzung für die Teilnahme an unserer Studie war, dass die Frauen keine leiblichen Kinder haben, dass sie keinen Kinderwunsch besitzen und sich bewusst entschieden haben, kinderlos zu bleiben.

Heuschkel: Im Rahmen unserer Studie haben wir uns unter anderem spezifisch den Prozess der Entscheidungsfindung angeschaut. Besonders interessierte uns, wann die Frauen sich bewusst gegen Kinder entschieden haben.

70 Prozent der Frauen sagten: Ich habe weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart den Wunsch verspürt, Mutter zu werden. Dementsprechend trafen sie diese Entscheidung schon sehr früh in ihrem Lebensverlauf – unabhängig von äußeren Rahmenbedingungen oder persönlichen Umständen.

Bei 30 Prozent der Frauen schwankte der Kinderwunsch im Lebensverlauf. Sie wollten zu einem früheren Zeitpunkt ein Kind, haben dann aber bewusst die Entscheidung getroffen, kinderlos zu bleiben.

STANDARD: Was konnten Sie nun über die Motive herausfinden, wegen denen sich Frauen für ein Leben ohne Kinder entscheiden?

Rahnfeld: Die Entscheidung zur Kinderlosigkeit wird viel stärker aufgrund individueller Motive und nicht wegen der Rahmenbedingungen getroffen, was man aber bisher angenommen hat. Die Hauptgründe für die Frauen liegen in einem Wunsch nach Selbstverwirklichung, Freizeit und mehr Freiheit. Diese Motive liegen noch weit vor anderen Motiven wie etwa dem ökologischen Fußabdruck.

Häufig wird das Argument angeführt, es sei egoistisch, keine Kinder zu wollen. Aber man sollte sich die Mutter-Kind-Beziehungen vor Augen führen, wenn man sie durch Rahmenbedingungen dazu bringen würde, doch Kinder zu bekommen – obwohl sie keinen Kinderwunsch haben. Gleichzeitig konnten wir feststellen, dass kinderlose Frauen ihre Kapazitäten anders einsetzen. Sie wollen in der Welt etwas bewegen oder sich einfach stärker um ihr soziales Umfeld kümmern.

Heuschkel: Selbstverwirklichung heißt in dem Zusammenhang, auf sein Innerstes zu hören und den eigenen, ganz individuellen Lebensvorstellungen zu folgen.

Ein wichtiger Punkt ist auch die Partnerschaft. Es wird davon ausgegangen, dass Partnerschaften immer instabiler werden, die Beziehungen dauern kürzer, und es gibt viele Trennungen. Demnach könnte man meinen, dass Frauen keine Kinder wollen, weil sie keinen Partner haben oder in ihren Beziehungen unglücklich sind.

Wir haben jedoch festgestellt, dass die Mehrheit der befragten Frauen in einer Beziehung lebt und in dieser sehr zufrieden ist. Sie schätzen ihre Partnerschaft und wollen deshalb keine Veränderungen, die mit der Geburt eines Kindes einhergehen würden.

Die Herkunft der Frauen spielte auch eine Rolle. 60 Prozent der befragten Frauen sind mit einem traditionellen Familienmodell aufgewachsen. Das heißt, der Vater hatte die Rolle des Familienernährers inne, die Mutter war für den Haushalt und die Kindererziehung zuständig. Diese sehr traditionelle Rollenverteilung führte dazu, dass die Frauen vorwiegend finanziell und teilweise auch emotional vom Mann abhängig waren. Eine solche Abhängigkeit wollen die von uns befragten Frauen verhindern. Natürlich ist der Beruf eine gute Chance, Unabhängigkeit zu erreichen. Aber nur weil sie keine Kinder bekommen, bedeutet das nicht, dass sie eine Karriere verfolgen müssen.

Annkatrin Heuschkel und Claudia Rahnfeld (rechts) mit ihrer Studie zu
Claudia Rahnfeld (rechts) ist Professorin für Professionstheorie und Disziplinäres Wissen in der Sozialen Arbeit an der Dualen Hochschule Gera-Eisenach. Annkatrin Heuschkel ist Masterstudentin an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig.
DHGE

STANDARD: Frauen werden aber oft rein karrieretechnische Überlegungen nachgesagt, wenn sie keine Kinder bekommen. Wie gewichtig sind tatsächlich berufliche Motive für Frauen?

Heuschkel: Wir haben den Frauen sieben Lebensbereiche vorgelegt, die sie nach ihrer individuellen Priorität in eine Reihenfolge bringen sollten. Man würde annehmen, da ist der Beruf ganz vorne – tatsächlich war er an sechster und damit vorletzter Stelle. Familie, Freundschaft und Partnerschaft waren Aspekte, die ihnen wichtiger waren.

Rahnfeld: Mütterlichkeit und soziale Fürsorge müssen sich nicht nur auf die eigenen Kinder beziehen. Wir haben durch die Rückmeldungen erfahren, dass da oft ein anderes Verständnis vorherrscht. Es wäre zu kurz gegriffen, wenn man die kinderlose Frau nur als eine Karrieresuchende beschreibt, das wird ihr nicht gerecht.

STANDARD: Dennoch hat sich in Ihrer Studie auch gezeigt, dass vor allem Frauen mit einer sehr guten Ausbildung keinen Kinderwunsch haben.

Rahnfeld: Ja, diese Frauen verfügen mehrheitlich über den höchsten Schulabschluss und üben auch mehrheitlich eine berufliche Tätigkeit aus, die ihnen ein gutes Einkommen verschafft. Das kann man soziologisch nachzeichnen – Genaueres allerdings nicht, da gibt es viele Grautöne.

Heuschkel: Man hat in der Vergangenheit angenommen, dass kinderlose Frauen vorwiegend unter Akademikerinnen zu finden sind. Es gab eine große Schere: Bei den Akademikerinnen war die Kinderlosenquote sehr hoch, bei Frauen mit niedrigerem Schulabschluss war sie vergleichsweise gering. In den vergangenen Jahren hat sich diese Lücke ein wenig geschlossen. Die Bildungsgruppen gleichen sich immer weiter an, wenngleich noch immer die Mehrheit derer, die keine Kinder wollen, ein Abitur und damit den höchsten Schulabschluss hat.

STANDARD: Diskriminierungen für Eltern – für allem für Mütter – werden öfter thematisiert. Aber welche Nachteile oder Diskriminierungen erleben kinderlose Frauen?

Rahnfeld: Vor allem erleben sie einen Rechtfertigungsdruck. Es ist sehr schwierig, wenn man sich für ein Lebensmodell entschuldigen oder es ständig erklären muss. Hinzu kommen gesellschaftliche Vorurteile oder Rückmeldungen wie "Was ist, wenn du das mal bereuen wirst?" oder dass man deshalb später mal allein sein wird.

Heuschkel: Die Frauen schilderten auch ganz konkrete Situationen, zum Beispiel bei der Urlaubsplanung im Job, wo Eltern meistens bevorzugt werden – dafür gibt es auch eine logische Begründung. Ein anderes Thema sind Überstunden – hier erleben Frauen häufig, dass ihnen unterstellt wird, durch die Kinderlosigkeit keine Verpflichtungen und kein Sozialleben zu haben. In der Folge werden sie für Überstunden in Anspruch genommen oder sogar dazu verpflichtet.

Frauen sehen sich also aus der Gesellschaft wie auch dem näheren sozialen Umfeld häufig mit Fragen konfrontiert wie: Wann wollt ihr Kinder? Wann ist es so weit? Und wenn sie dann nicht freudestrahlend antworten, ja, wir möchten unbedingt ein oder mehrere Kinder, dann werden direkt die zahlreichen Vorteile von Kindern und die Nachteile von Kinderlosigkeit angeführt. Also fast ein Versuch, sie zur Elternschaft zu überreden. Das wirkt auf Frauen häufig sehr erdrückend.

STANDARD: Die Bewertungen von Frauen, die keine Kinder wollen, sind noch immer derart negativ?

Rahnfeld: Wir haben im Zuge der Studie und der vielen Gespräche dazu manchmal das Gefühl bekommen, dass wir etwas untersuchen, was verboten ist.

Die Lebensmodelle von Frauen werden bis heute sehr rückschrittlich bewertet. Es gibt zwar eine kleine feministische Welle, die etwas anderes fordert, aber tendenziell ist es gesellschaftlich noch sehr angesehen und anerkannt, wenn Frauen sich in einem gewissen Alter für Kinder entscheiden. Hier sind auch die Bewertungskriterien zwischen Männern und Frauen noch immer sehr unterschiedlich. Männer müssen sich weitaus weniger für ein Lebensmodell ohne Kinder rechtfertigen.

STANDARD: Ihre Studie zeigte aber auch, dass es doch zunehmend eine Entflechtung von Mutterschaft und Frausein gibt.

Rahnfeld: Ja, darauf deuten auch andere Studien hin. Vor ein paar Jahrzehnten wurde Mutterschaft als das einzige Lebensmodell für Frauen noch gar nicht hinterfragt, es gehörte einfach dazu. Da kann man jetzt schon eine Trendwende feststellen. Frauen gehen inzwischen bewusster und selbstkritischer an diese Entscheidung heran. Das ist eine große Errungenschaft der Frauenbewegung. (Beate Hausbichler, 11.8.2023)