Ein Kleinkind mit einem Säugling auf seinem Schoß.
2009 wünschten sich Frauen durchschnittlich noch 2,1 Kinder, 2023 ist dieser Wert auf rund 1,7 Kinder gesunken.
IMAGO/Westend61

"Ich hatte immer schon den Eindruck, dass Kinder mich einschränken würden", sagt Martina Preissecker. Die 40-jährige Wienerin arbeitet in Vollzeit und hat eine Führungsposition inne. Aus ihrem Umfeld kommen mahnende Worte, dass es bald zu spät sei für einen Kinderwunsch – an Preisseckers Entscheidung gegen das Muttersein ändert das nichts.

Die Marketingmanagerin ist kein Ausnahmefall. Österreichweit zeichnete sich zuletzt ein Geburtenrückgang ab. 6,5 Prozent weniger Geburten meldete die Statistik Austria für 2023, zum vierten Mal in Folge gibt es in Österreich ein Minus. Die Zahlen für 2023 seien noch vorläufig, erläutert Bernhard Riederer, Demografieforscher an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. "Aber es sieht so aus, dass die Geburtenrate nur knapp über dem bisherigen Tiefstwert von 2001 liegen wird."

Eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie zeigt zudem: Auch der Kinderwunsch von Männern und Frauen ist zurückgegangen. 2009 wünschten sich Frauen durchschnittlich noch 2,1 Kinder, 2023 ist dieser Wert auf rund 1,7 Kinder gesunken. Aktuell würden vor allem Krisen für Unsicherheit sorgen, sagt Bernhard Riederer: die Pandemie, Kriege, Inflation. "Menschen, die sich stark durch die Inflation belastet fühlen, geben am häufigsten an, dass sich ihr Kinderwunsch geändert hat", so Riederer.

Wenn Gleichberechtigung Lust auf Kinder macht

Auch für Luise Schaller* haben gewärtige Krisen in der Familienplanung eine Rolle gespielt. "Klimakrise, die wachsende soziale Ungleichheit, das Erstarken von Extremismus – all das macht nicht gerade Lust auf Zukunft", sagt Schaller. Und dennoch: Die 36-jährige Vorarlbergerin hat gemeinsam mit ihrem Partner einen dreijährigen Sohn, aktuell ist sie schwanger und erwartet ein zweites Kind. Die enge Beziehung zu den eigenen Geschwistern hat ihr Leben stark geprägt – diese Erfahrung will das Paar nun auch seinem Sohn ermöglichen, erzählt sie im STANDARD-Gespräch. Schaller arbeitet in leitender Position und wird gleich nach dem Mutterschutz in den Job zurückkehren. "Ich habe einen Partner, der eine gleichberechtigte Teilung von Haus- und Care-Arbeit lebt. Hätte das beim ersten Kind nicht funktioniert, hätte ich mich ganz bestimmt nicht für ein zweites entschieden", sagt Schaller.

Dass Halbe-halbe in Hetero-Partnerschaften keineswegs selbstverständlich ist, belegte zuletzt die Zeitverwendungsstudie der Statistik Austria. Auch Claudia Birnbaum,
Geschäftsführerin des Tiroler Vereins Frauen* im Brennpunkt, kann davon berichten. "Frauen erleben einen wahnsinnigen Druck, das hören wir ständig in der Beratung. Sie fühlen sich für die Care-Arbeit zuständig, weil das von der Gesellschaft, von ihrem Umfeld so erwartet wird", sagt Birnbaum. Dieser Druck sei in Tirol ausgeprägter als in Wien – und im ländlichen Tirol wiederum größer als in der Stadt.

Schleppender Ausbau der Kinderbetreuung

Ländliche Regionen sind es auch, in denen das Netz an Kinderbetreuungseinrichtungen besonders große Lücken aufweist. Nur die Hälfte der Kindergartenplätze in Österreich ist mit Vollzeitjobs vereinbar, zeigt ein kürzlich veröffentlichter Monitoringbericht.

Für berufstätige Eltern oft ein Spießrutenlauf: Schon jetzt bereiten die Schließungszeiten im Sommer vielen Kopfzerbrechen. "Wir brauchen auch einen Haltungswandel. Es muss gesellschaftlich respektiert sein, dass Eltern auch ein sehr kleines Kind in die Obhut von pädagogisch geschultem Personal geben", sagt Birnbaum.

Für ihre eigene Mitarbeiterin musste Birnbaum eine Bestätigung ausstellen, dass sie im Sommer arbeiten wird – und sich somit für einen Kinderbetreuungsplatz qualifiziert. Eine Rückmeldung von der Gemeinde zu den Öffnungszeiten gibt es allerdings noch nicht. "Und wehe, die Frau wird in dieser Zeit dann einmal im Kaffeehaus gesehen", sagt Birnbaum.

Die Gleichstellungsexpertin, deren Tochter inzwischen erwachsen ist, ist selbst nach deren Geburt rasch wieder in die Arbeit zurückgekehrt – ein großer Teil ihres Teilzeitgehalts floss in die private Kinderbetreuungseinrichtung. "Für Kinder unter eineinhalb Jahren gab es damals kaum ganztägige Betreuung, und wenn, dann nur von privaten Anbietern", erzählt sie.

Massive Kosten

Auch Luise Schaller und ihr Partner müssen für die Kleinkindbetreuung tief in die Tasche greifen. Aktuell zahlen sie 300 Euro monatlich, vor dem dritten Geburtstag ihres Sohns waren es rund 600 Euro. Die beiden verdienen überdurchschnittlich gut – und haben dennoch einen detaillierten Finanzplan. "Wir haben kein Erbe zu erwarten, wenn einer von uns den Job verlieren würde, ginge sich das alles nicht mehr aus", sagt Schaller. In ihrem Umfeld kennt die Vorarlbergerin viele Paare, bei denen die finanzielle Situation darüber entscheidet, wer in Karenz geht. Und fast immer ist es in Hetero-Beziehungen der Mann, der mehr verdient. "Vätern geht so eine unglaublich prägende Erfahrung verloren. Allein schon vor diesem Hintergrund müssten wir stärker für Einkommensgerechtigkeit kämpfen", sagt Schaller. Und auch für das gegenseitige Verständnis sei geteilte Care-Arbeit enorm wichtig, zeigt die Vorarlbergerin sich überzeugt.

Alarmierende Zahlen lieferte die Statistik Austria indes auch zur aktuellen Armutslage in Österreich. Bei Kindern und Jugendlichen hat sich die Zahl der Armutsbetroffenen (88.000) im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. In einer Aussendung fordert die Armutskonferenz nicht zuletzt auch umfassende Investitionen in die Elementarpädagogik und in Kindergärten.

Glücklich mit und ohne Kind

Auch Martina Preissecker, die sich gegen Kinder entschieden hat, sieht viele Eltern in ihrem Umfeld mit der Kinderbetreuung kämpfen. "Um einen Ganztagsplatz musst du dich schon bemühen, und dann kriegst du Gewissensbisse, wenn du immer die letzte Mutter oder der letzte Vater bist, der sein Kind abholt", sagt sie.

Für Preissecker standen berufliche Ziele immer schon an erster Stelle, neben der Vollzeitarbeit studierte sie an der Fachhochschule, schloss Bachelor und Master ab. "Und ich habe immer wieder erlebt, wie Teamleiterinnen oder Führungskräfte nach der Karenz keine Führungsrolle mehr hatten", erzählt sie. Frauen in Teilzeit hätten immer noch berufliche Nachteile, erst langsam würden Unternehmen hier umdenken. Insgesamt entscheiden sich Frauen mit hoher formaler Bildung in Österreich häufiger gegen ein Kind.

Das Berufsleben war aber nicht der einzige Grund für Preissecker, kein Kind zu planen. Flexibilität einzubüßen, ihr ganzes Leben nach Kindern auszurichten, so wie sie das bei anderen beobachtete, sei für sie nie denkbar gewesen. Für diese Haltung gab es nicht immer Verständnis. "Ich habe im letzten Jahr geheiratet, und da kamen sofort die Fragen: Bist du schwanger? Wollt ihr keine Kinder?", erzählt Preissecker. Ein Leben kann auch ohne Kinder erfüllend sein, ist die Wienerin überzeugt. "Ich habe mich schon gefragt: Bin ich deshalb egoistisch? Aber es ist halt einfach ein anderes Lebensmodell."

Luise Schaller, die im Herbst ihr zweites Kind erwartet, denkt abseits der Anstrengung, die das Elternsein bedeutet, an die "große Bereicherung, wie man die Welt mit einem Kind noch einmal neu erlebt". Auch die eigenen Grenzen habe sie besser abgesteckt und eine neue Gelassenheit erlernt. "Aber auch zu sehen, wie mein Partner mit unserem Sohn umgeht. Du schaust ihn an – und du liebst ihn noch mehr", sagt sie. (Brigitte Theißl, 29.4.2024)